Quereinsteiger verändern den Pflegemarkt * von Gundolf Meyer-Hentschel - Bsozd.com

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Marktentwicklungen und strategische Empfehlungen

Amazon macht Alexa zu einer häuslichen Betreuungskraft, Ikea baut Wohnungen für demente Menschen. Dies kann vielfältige Einflüsse auf die Altenpflege haben.

Altenpflege ist eine junge Branche, es gibt sie erst seit rund 30 Jahren. Zurzeit befindet sich die ursprüngliche Altenhilfe in einer Umbruchsituation auf dem Weg zu einer Wirtschaftsbranche, was ein ganz normaler Vorgang in einer Marktwirtschaft ist.

Durch Etablierung der Pflegeversicherung und ein starkes Wachstum der Zahl der Pflegebedürftigen entwickelt sich die einstige „Sozialarbeit“ in eine moderne Dienstleistungsbranche mit entsprechenden Gewinnaussichten. Das ist der Grund für das stetig wachsende Engagement von Finanzinvestoren.

Ihr Ansatz besteht im Kern darin, große Einheiten zu schaffen und diese betriebswirtschaftlich sehr effizient zu führen – mit allen Vor- und Nachteilen einer solchen Strategie. Grundlegende Innovationen zum Wohl der Bewohner sind in diesen Strategien meistens nicht vorgesehen. Man optimiert betriebswirtschaftlich das bestehende Modell Altenpflege.

Die eingangs erwähnten neuen Mitspieler – Amazon und Ikea – sehen ihre Ertragsmöglichkeiten anders: Sie wollen die Gesundheits- und Pflegebranche mit Innovationen verbessern, nicht mit spitzem Stift die Rentabilität erhöhen, jedenfalls nicht kurzfristig. Diese Unternehmen bringen ihr Know-how aus anderen Branchen ein, um das Sozialprojekt „Altenhilfe“ zu einer kundenzentrierten Dienstleistungsbranche zu gestalten.

Was hat Amazon vor?

Amazon bewegt sich seit mehreren Jahren konsequent in Richtung Gesundheitsmarkt. Am 26. Juli 2017 berichtete CNBC.com, dass Amazon ein geheimes Gesundheitsprojekt gestartet hat. Das Team habe den Namen 1492, was seine Bedeutung für Amazon widerspiegelt. 1492 hat Columbus Amerika entdeckt. Auf der Website amazon.jobs wurden u.a. gesucht: Experten Künstliche Intelligenz mit Erfahrungen im Gesundheitsmarkt und elektronischen Gesundheitsdaten.

Einen Tag nachdem diese Meldung veröffentlicht wurde, waren alle Informationen, Hinweise und Stellenanzeigen aus dem Internet verschwunden. Seitdem hüllte sich Amazon in Schweigen. Die strategische Richtung ist allerdings klar. Denn Amazon hat noch weitere Innovationsteams, die weniger geheim behandelt werden. Eines dieser Teams hat die Aufgabe, den Markt für Arzneimittel für Amazon zu erschließen.

Am 17. November 2020 war es so weit: Die Online-Apotheke „Amazon Pharmacy“ ging ans Netz, zunächst nur in den USA ….

Parallel dazu hat sich Amazon im Lauf der letzten Jahre weitgehend unbeachtet als Lieferant für Medizinprodukte, Praxis- und Pflegebedarf etabliert. Auf der US-Website heisst es „Amazon“s Medical Supply Store“. Auch in Deutschland ist das Angebot an entsprechenden Produkten kontinuierlich gewachsen. Nach Angaben von Amazon nutzen 10 der 15 grössten deutschen Krankenhäuser diese Einkaufsmöglichkeit.
https://business.amazon.de/de/branchen/gesundheitswesen

Am 7. Dezember 2021 kam der erste Schritt in den Pflegemarkt: Amazon startete den Dienst „Alexa Together“.

Was kann Alexa Together?

Alexa Together ist ein neuer Abonnementdienst, der Angehörigen alleinlebender Menschen ein beruhigendes Gefühl geben und älteren Menschen helfen soll, unabhängig zu leben. Der neue Dienst bietet viele Funktionen, darunter den 24/7-Zugang zu professionellen First Respondern, die dem Angehörigen Hilfe besorgen können, wenn er sagt: „Alexa, rufe Hilfe.“ Wenn ein kompatibles Gerät eines Drittanbieters einen Sturz erkennt, kann das Gerät ein Signal senden, so dass Alexa aktiv fragt, ob die möglicherweise gestürzte Person Hilfe rufen möchte.

Eine optionale Remote-Funktion ermöglicht es den betreuenden Familienangehörigen, Geräteeinstellungen zu verwalten, Erinnerungen aus der Ferne einzustellen oder einen Musikdienst mit den Geräten ihrer Angehörigen zu verbinden.

Ein Aktivitäts-Feed zeigt eine allgemeine Übersicht über die Interaktionen des Angehörigen, damit man weiß, dass er in seinen Wohnräumen aktiv ist. Man kann auch Benachrichtigungen erstellen, um zu erfahren, wann ein Angehöriger morgens Alexa zum ersten Mal benutzt oder wenn zwischen bestimmten Zeiten keine Aktivität festgestellt wird.

Alexa Together gibt es bis jetzt nur in den USA, die monatlichen Kosten betragen $ 19.99. Amazon hat angekündigt, dass die Funktionen des Dienstes ständig weiterentwickelt werden.

Die Technik-Publikation The Verge hat den Start von Alexa Together so kommentiert: „Amazon ist eindeutig dabei, den Markt des „Aging in Place“ (zuhause altwerden) zu erobern.“ Ich stimme dieser Einschätzung zu und möchte noch einen Schritt weiterdenken:

Früher musste man zum Einkaufen das Haus verlassen. Heute kommen die Produkte direkt vor die Haustür.

Früher musste man zum Arbeiten das Haus verlassen. Heute kann man – in vielen Branchen – im Homeoffice arbeiten.

Früher musste man die Großeltern oder Eltern in ein Altenheim bringen, in Zukunft kommt das Altenheim nach Hause. Das klingt zunächst sehr utopisch. Aber genau das ist Amazon“s Stärke, Utopien verwirklichen.

Dass man Menschen, um sie zu betreuen und zu pflegen, in einem gemeinsamen grossen Haus ansammelt, ist letztlich Ausdruck einer logistischen Lösung, die man für sinnvoll hält, zu der einem zumindest bis heute keine andere Lösung eingefallen ist. Das könnte und – davon bin ich überzeugt – wird sich ändern.

Die zu lösende Aufgabe könnte lauten: Wie schaffe ich es, dass ein Mensch, der zu Hause lebt, täglich sechs persönliche Besuche (betreuend, pflegend, unterstützend) von mind. 10 min bekommt?

Aktuell müsste man antworten: unlösbar. Aber in erster Linie ist dies ein logistisches Problem und Amazon ist der Weltmarktführer in Sachen Logistik. Die Lösung dieses Logistikproblems sollte also gelingen. Damit bekäme Alexa Together eine persönliche Ergänzung in Form von echten menschlichen Kontakten, nennen wir diesen Service mal vorläufig „Alexa Care“.

IKEA als Anbieter von altersgerechten Wohnungen

Vor einigen Jahren hat ein Team meines Instituts eine Trendstudie zum Seniorenwohnen erstellt. Eine der Prognosen: Der Markt für Seniorenwohnen und Altenpflege könnte sich grundlegend ändern, wenn IKEA einsteigen würde. Jetzt unternimmt IKEA die ersten Schritte für diese Innovation. Es handelt sich um Wohnanlagen und Wohnungen mit dem Namen SilviaBo, die in vielfältiger Weise auf die Bedürfnisse von Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen eingehen. Nach meiner Einschätzung ist dies nur der erste Schritt in den international attraktiven Wachstumsmarkt Seniorenwohnen.

Ideengeberin für das Projekt war die schwedische Königin Sylvia, die sich seit vielen Jahren für das Thema Demenz engagiert. Bei einem Treffen mit dem IKEA-Gründer Ingvar Kamprad wurde die Idee einer bezahlbaren Wohnung geboren, die so gut durchdacht und auf die Anpassung vorbereitet ist, dass ein Umzug in ein Pflegeheim nicht nötig ist, falls altersbedingte körperliche oder kognitive Einschränkungen entstehen.

In Kooperation mit dem Bauunternehmen Sanska, der Stiftung Silviahemmet und IKEA wurde daraufhin das innovative Wohnkonzept SilviaBo entwickelt. Diese Kooperation bündelt Wissen über kognitive Beeinträchtigungen, Innenarchitektur und nachhaltiges Bauen zum Nutzen der Bewohner. Selbstverständlich sind alle SilviaBo-Wohnungen mit IKEA-Produkten gestaltet und eingerichtet.

Wohnungen nach dem SilviaBo-Konzept gibt es bis jetzt in Schweden, die Kooperation zwischen Ikea und dem Bauunternehmen Sanska ist aber auch in Finnland, Norwegen und in Grossbritannien aktiv. Eine Übernahme des SilviaBo-Konzepts in diese Märkte ist damit problemlos möglich.

Auch in Deutschland entdeckt IKEA den Markt des Seniorenwohnens

2021 hat die Mirabelle Care GmbH ihr „Pflegezentrum am Moritzplatz“ in Magdeburg komplett von IKEA einrichten lassen. Geschäftsführer Robert Hille hat in einem Interview mit caretrialog.de signalisiert, dass man auch bei weiteren Neubauten mit IKEA zusammenarbeiten werde.

Als großen Vorteil von IKEA nennt er u.a., dass neben der Einrichtungsplanung und dem Mobiliar die dazugehörige Ausstattung von Besteck über Teller, Töpfe, Tassen, Gläser bis hin zur Dekoration aus einer Hand bekomme. Ausserdem spiele eine wichtige Rolle, dass IKEA – bei guter Qualität – deutlich kostengünstiger ist als die großen, klassischen Möbelbauer und Möbelanbieter. „Überall steigen die Kosten – fürs Bauen, für die Grundstücke. Und damit auch die Eigenanteile der Pflegeheimbewohner. Durch eine kostengünstigere Einrichtung und Ausstattung kann einer Explosion der Eigenanteile entgegengewirkt werden.“

Bedeutung dieser Szenarien für die Pflegebranche

Die neuen Mitspieler sind für die Pflegebranche sowohl Risiko als auch Chance. Wenn Ikea in lebenslange Seniorenwohnungen investiert – zunächst in Schweden, dann vielleicht in Grossbritannien und sogar Deutschland – verringert dies möglicherweise die Zahl der Menschen, die einen Platz in einem traditionellen Pflegeheim benötigen. Umgekehrt können Ikeas Ambitionen, Kompletteinrichter für Altenheime zu werden, bei den Pflegeinstitutionen zu Kosteneinsparungen, schnellen Lieferzeiten und vielleicht auch einer besseren Pflegeatmosphäre führen.

Amazon als neuer Mitspieler ist sehr viel facettenreicher. Mittelfristig könnte eine Bestellpolitik, die Amazon zum Hauptlieferanten macht, die Einkaufspreise reduzieren und auch die Verwaltungskosten für den Bestellprozess, Buchhaltung usw. verringern.

Ein Risiko für die Pflegebranche: Amazon wird sich vermutlich zuerst den ambulanten Diensten zuwenden. Ambulante Pflege, Essen auf Rädern usw. sind Dienstleistungen, bei denen die Logistik eine zentrale Rolle spielt. Und – wie gesagt – das ist eine der grössten Stärken von Amazon.

Aufgrund der bisherigen Amazon-Strategien folgende Vermutung: Zunächst wird Amazon einen grossen Anbieter kaufen, z.B. Home Instead. Firmierung vorübergehend als „Home Instead by Amazon“, dann schliesslich als „Amazon Home Care“.

Man wird die Wohnungen der Kunden mit Alexa Together ausstatten, mit dem Service eines herkömmlichen Pflegedienstes starten und allmählicher immer mehr Leistungen hinzunehmen, die nach bisheriger Vorstellung nur stationär erbracht werden können.

Keine Hoffnung, dass es nicht so kommt – Amazon hat gar keine andere Wahl.

Amazon lebt vom Online-Einkauf seiner Kunden. Wenn Kunden jung sind, Kinder haben, ein anspruchsvolles Leben führen, bestellen sie viel und oft. Je älter Menschen werden, und je kleiner die Haushalte, desto geringer das Bestellvolumen. Um diesen Umsatzrückgang auszugleichen, braucht Amazon die Menschen im Alter als Pflegekunden.

An dieser Stelle kommt eine weitere Stärke von Amazon im Vergleich anderen Unternehmen wie z.B. Microsoft, Apple oder Google zum Tragen: Amazon verfügt über extrem viele und gute Kundendaten, z.B. Kaufhistorien über mehrere Jahrzehnte.

Amazon weiss deshalb im Vorhinein, welchen Bedarf ein Mensch oder eine Familie haben wird, lange bevor ambulante Pflegedienste und Altenheime davon erfahren. Insofern kann Amazon sehr frühzeitig auf potenzielle Kunden zugehen und entsprechende Angebote unterbreiten.

Die traditionelle Pflegebranche ist verletzlich – die Risiken

Die Altenpflegebranche ist seit ihren Anfängen in den Bereichen Sozialarbeit, Altenhilfe u.ä. verankert. Die ersten Altenheime in Europa waren die sogenannten Armenhäuser, in denen armen, alten Menschen geholfen wurde. Dieses mentale soziale Erbe prägt vielleicht bis heute stärker als den Akteuren bewusst ist.

Viele der traditionellen Anbieter sind mit neuen Marktsituationen überfordert. Sie hatten jahrelang einigermaßen komfortabel gelebt: Der Wettbewerb war nicht besonders stark, es gab hinreichend Personal, die Bürokratie hielt sich in Grenzen.

Das alles ist vorbei. Die neue Welt der Altenpflege wird durch andere Größen bestimmt: Stärker werdender Wettbewerb, überbordende Bürokratie, Personalknappheit. Das hat man nicht gelernt, damit kommen viele nicht zurecht. Genau diese Schwäche nutzen die Neu- und Seiteneinsteiger in die Altenpflegebranche, die für vieles kritisiert werden und überhaupt dafür, dass es sie gibt. Machen wir es uns damit nicht zu einfach?

Eine Vielzahl von Einrichtungen und Unternehmen wird überraschend unprofessionell gemanagt. Vermutlich ist dies historisch zu sehen. Durch Etablierung der Pflegeversicherung und ein starkes Wachstum der Pflegebedürftigen hat sich die einstige „Sozialarbeit“ in eine moderne Dienstleistungsbranche verwandelt. Aber viele der etablierten Einrichtungen haben dies zu spät bemerkt, mache weigern sich, den Wandel zur Kenntnis zu nehmen und wieder andere wollen es nicht wahrhaben, weil es ihrem Weltbild widerspricht.

Was ist zu tun? – Strategische Konsequenzen

Freuen Sie sich über neue Wettbewerber und akzeptieren Sie neue Spielregeln.

Customer Obsession, das macht Amazon besser als fast jedes andere Unternehmen auf der Welt. Das geht auch in der Pflege. Dieser Ansatz könnte sogar helfen, den Gedanken der Altenhilfe zu vergessen und sich klarzumachen, dass alte und hilfsbedürftige Menschen nicht abhängig sind von der Pflege und nicht dankbar sein müssen für Menschlichkeit und Mitgefühl. Im Gegenteil:

Eine Pflegeinstitution und alle Mitarbeitenden sind abhängig von ihren Bewohnern, da es sich um zahlende Kunden handelt und deshalb bis zu ihrem letzten Atemzug eine erstklassige professionelle Leistung erwarten dürfen.

Zum Beitrag mit allen Abbildungen

* Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags ist publiziert worden in der Wochenzeitschrift CAREkonkret Nr. 41/2022 vom 7. Oktober 2022.

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Bildquelle: @ care konkret (Screenshot)

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